Sebastian

 

Neulich in der Sauna.

Ich bin allein, räkele mich wohlig auf meinem Handtuch, Sanarium mit Farblichttherapie steht von außen auf der Tür, 65 Grad.
Da geht diese Tür auf, eine junge Familie kommt herein, er und sie und ihr kleiner Sohn, so drei oder vier Jahre alt…
Sie breiten ihre Tücher aus, setzen sich, der kleine Junge ganz unten, fröhlich vor sich hin plappernd… augenscheinlich ein aufgewecktes Kerlchen.

Nach einer ganz kurzen Zeit der Orientierung fängt er plötzlich an in die Hände zu klatschen, erst einfach so, dann rhythmisch, klatsch, klatsch klatsch…
Der Vater sagt sehr freundlich: „Sebastian, lass das bitte, in einer Sauna ist man leise.“
Sebastian stoppt abrupt ab, schaut hoch zu seinem Vater, noch ein einzelner Klatscher,
klatsch, wieder ein Blick nach oben, noch ein einzelner Klatscher und dann gehts rhythmisch weiter… klatsch klatsch klatsch…

Der Vater wiederholt: „Sebastian, hör bitte mit dem Klatschen auf.“ Dabei dehnt er das bitte endlos und zerlegt es in seine phonetischen Einzelteile… biiiii…teee.
Aber es ist zu spät! Sebastian hat gelernt und klatscht rhythmisch weiter… klatsch klatsch klatsch… Der Vater hat aber auch gelernt. Er wechselt das Thema.

„Wie gefällt dir denn die Sauna“, fragt er Sebastian? Und der antwortet, wie aus der Pistole geschossen: „Ekelhaft…ekelhaft.. e kel haft.
Dabei klatscht er weiter mit seinen kleinen Händchen und erkennt plötzlich eine gewisse Harmonie zwischen dem Klatschen und ekelhaft. Er synchronisiert beides.
E—kel—haft, klatscht er! E—kel—haft! E—kel—haft… Er hat sichtlich Freude an seinem Spiel, die schwachen Einwände, jetzt auch der Mutter, verhallen ungehört hinter Sebastians fröhlichem Spiel.

Ich verlasse die Sauna, denke, dass mein Sohn auch mal drei oder vier war… und, nur mal angenommen, er hätte in der Sauna so einen Lärm gemacht und, nochmal nur angenommen, ich hätte ihn gebeten aufzuhören, er hätte es vermutlich getan.

Und was, wenn nicht? Wenn er einfach weitergeklatscht hätte?

Hätte er nicht, aber wenn doch hätte ich gesagt: „Noch ein Klatscher und ich werfe dich ins Tauchbecken.“

„Hättest du ihn wirklich ins Tauchbecken geworfen“, fragt mich ein Freund später, dem ich diese Geschichte erzähle?
„Wahrscheinlich nicht“ sage ich, “ aber er weiss, dass ichs könnte…
Anmerkung der Redaktion für alle Waldorfpädagogen, ADS-, ADHS-, Asperger- und Autismustherapeuten:

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sebastian gibts nicht und eventuell erkennbare pädagogische Ratschläge wären rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

Bernd Kesseler